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Sonntag 07.09.09

Eine Ankunft nach Plan.
Der Bus bringt uns pünktlich nach Gjendesheim, dem Ausgangspunkt unserer Wanderung.
War der Himmel in Oslo noch verhangen, hebt sich der graue Vorhang Richtung Norden und über den Bergen strahlt der Himmel tiefblau. Beim Anblick der weiten herbstlich gefärbten Fjellheide überkommt mich eine kindlich freudige "wir Warten aufs Christkind" Erregung.
Es ist Sonntag, es ist Ausflugswetter und die Landstraße, die am Nationalpark entlang führt, ist mit Autos zugepackt. Es ist beruhigend zu wissen, dass wir die Meute bald abgehängt haben werden und dafür müssen wir nicht mal schnell gehen.
Die Tagestouristen sind nicht die Einzigen, die das gute Wetter nutzen. Die Hütte ist in lebendige Schleier aus Fliegen gehüllt. Ein Angestellter der Hütte rudert uns über den Abfluss des Gjende. Im dritten Anlauf, erst auf Norwegisch dann Englisch, sprechen wir Deutsch. Wir erzählen, dass wir am Ufer entlang und dann durchs komplette Leirungsdalen wollen. Er rät zu einem anderen Einstieg.
"Ich habe die Tour vor 4 Wochen gemacht. Die ersten Kilometer sind ein Sumpfloch. Ich bin von Mücken aufgefressen worden."
Wir glauben ihm, aber gehen die Route trotzdem. Zu Recht. Auf die kalten Nächte im September ist Verlass. Die Mücken sind nicht mehr auf Blut aus. Im T-Shirt schultern wir den Rucksack. Keine 2 Stunden später lassen wir den Sonntag, Sonntag sein und schlagen am aussichtsreichen und sonnigen Ufer des Gjende Sees unser Zelt auf.



Montag 08.09.08

Der Spätsommer war ein Versprechen, das nur einen Tag hielt. In der Nacht kommt der Regen und bleibt bis zum Frühstück. Der Tag ist trüb und grau in höheren Lagen wolkenverhangen. Wir laufen am Ufer des Gjende westwärts durch einen sumpfigen Birkenwald. Der Pfad ist teilweise zugewachsen. Das Rauschen eines Wasserfalls kündigt unseren Abschied vom See an. Wir steigen ins Leirungsdalen an und der Weg wird bequemer.

Kein Regen, keine Regenhose.
Dieser Gedankengang ist ein Fehler.
Wir laufen durch nasses Gestrüpp, so getränkt kleben uns die Trekkinghosen bald auf der Haut.

Die Nässe wird kapillar in die Socken und dann in die Schuhe ziehen. Ich weiß, was passieren wird, und reagiere nicht.
Der nächste Fehler.
Bei unserer Pause sind die Einlegesohlen schon in Mitleidenschaft gezogen: Socken wechseln, Hose wechseln, Regenhose überziehen. Ich kann mich nicht überwinden. Der Aufwand scheint zu groß.
Am Abend sind Schuhe, Socken und Hose triefend Nass und es ist kein Trocken-Wetter in Sicht. Der Nebel schluckt die Landschaft, bevor es die Nacht tut. Es beginnt wieder zu regen. Aber der Regen beim Einschlafen ist ein andere als beim Aufwachen. Beim Einschlafen ist die Hoffnung noch nicht ausgewaschen. Das Wetter hat noch die ganze Nacht Zeit umzuschlagen, und auch wenn du nach Mitternacht aufwachst und es prasselte unvermindert auf die Zeltplane, ist das immer noch kein Anlass trübsinnig zu werden, das gute Wetter verspätet sich. Regengeräusche beim Aufwachen sind nur frustrierend.



Dienstag 09.09.08.

Es kostet Überwindung die nassen Schuhe anzuziehen. Wahrlich kein guter Einstieg in den Tag. Solange sie Arbeiten bleiben die Füße warm. Doch unsere Pausen fallen nicht länger als zehn Minuten aus, dann werden uns die Zehen kalt.
Es gibt Schlimmeres als nasse Schuhe, einen nassen Schlafsack und daher schützen wir die Aussicht auf warme Nächte wie es schon unsere Vorfahren taten, zusätzlich mit profanen Plastiktüten..
Die Kombination aus langer Unterhose und Regenhose erweist sich als praxistauglich.

Grau in grau, erst kann ich die Schönheit des Lairungsdahlen hinter den Wolkenschleiern nur ahnen und ich fühle mich beraubt.
Und dann hat die Sonnen plötzlich ihren großen Auftritt und füllt das Tal mit gleißendem Licht. Ich nehme mir eine halbe Stunde rucksackfrei für ein Fotoshooting.
Die Leirungsdalen ist eine Perle und zu unrecht so wenig begangen. Die Gletscher, der Fluss und die Berge rücken dir ganz nah und ich ertappe mich dabei, dass ich mit offen Mund staune.

In Rufweite zum Gletscher finden wir einen geeigneten Zeltplatz. Sein Rumpeln wird mich in der Nacht wecken.
Ich spanne eine Wäscheleine mit unseren Trekkingstöcken auf, aber eine Wolkenfront wabert über den Berg und nistet sich kalt und nass ins Tal ein.
Raben.
Bevölkerten sie bei unserer letzten Tour schon den Himmel?
Ich kann mich nicht erinnern. Sie kommen mit den Wolken. Treiben sie vielleicht diese Grau Herde, wie Hütehunde, durch die Täler, auf der Suche nach hellen Flecken die es zu verdunkeln gilt?



Mittwoch 10.09.08

Heute präsentiert uns das Gebirge die raue Seite, aber auch wenn wir fluchen, unser Liebe zu Norwegen tut das keinen Abbruch.
Wir führen schon eine Wunschliste für die nächste Tour: hohe Garmaschen, eine lange Unterhose aus Wolle, mehr Dörrfleisch.

Es ist kalt. Zeit für die Winterausrüstung. Mit Handschuh und Mütze steigen wir im Nebel weiter an, auf 1600m. Die Vegetation weicht, Seen, Gletscher und Geröll bestimmen das Landschaftsbild.

Wir überqueren Schneefelder. Oft reichen die Gerölllawinen bis ans Ufer der Seen. Wild übereinander geworfene Felsbrocken, manche so groß wie ein Auto und wir müssen darüber hinweg.
Trocken schon kein einfaches Terrain, sind mir nasse Blockfelder ein Graus. Die Trekkingstöcke sind keine Hilfe, sondern ein Handicap, mit ihnen finde ich weniger Halt, als mit den Füßen. Pro Schritt verdoppelt sich die Gefahr auszurutschen. Die Hände wären nützlich, aber ich brauche erst eine schmerzhafte Erfahrung, um zu lernen.
Ich strauchel, stürz und schlage, die Last im Rücken, so brachial mit dem Schienbein an eine scharfe Felskante, das ich mich nach der Überwindung des Schrecks, wundere, dass der Knochen heil ist. Blut sickert mir in den Schuh. Beim Weiterlaufen lässt der Schmerz nach. Ich atmet auf. Meine Bewegungsfähigkeit ist nicht eingeschränkt.
Das nächste Hindernis, den nebelverhangenen, steilen, rutschigen Abstieg ins Svartdalen meistern wir problemlos.

Für eine viertel Stunde hatte es den Anschein, als hätte die Sonne nur auf sich warten lassen, doch dann sehe und höre ich die Raben. Aus dem Süden rutsch eine dunkle Wolkenfront durch das enge Tal und holt uns ein. Der Wind frischt auf. In die Sturmböen mischen sich Griesel und Schnee. Wir haben das Wetter Im Rücken, dagegen anzulaufen wäre unangenehmer. Es geht fünf Uhr nachmittags zu und wir bauen unser Zelt auf. Routine, wenn uns nicht die ungeschützten Hände in Minuten vor Kälte taub würden.
Das Gespinst aus hauchdünnen Stoff, das sich über nicht mal fingerdicke Aluminiumstangen spannt, schafft eine wohlige Innenwelt, wo vorher ungeschützte Wildnis war. Sturm und Schnee sind ausgesperrt und selbst die Kälte mindert sich.
Wir kochen und essen im Zelt und dann gönnen wir uns eine halbe Stunde Probeliegen im Daunenschlafsack. Mit vollen Magen, spüre ich wie sich meine Energiespeicher wieder aufladen und mit ausreichen Kalorien versorgt wird mir Warm, bis in die kleinen Zehen. An diesem Abend verzichten wir auf das Zähneputzen.



Donnerstag 11.09.08

An der Wetterlage hat sich nichts geändert. Wir brauchen einen Trockenraum und nicht nur für die Ausrüstung, auch für unsere Laune. Ich mache den Vorschlag heute nicht weiter als bis zur Hütte Gjendebuh, zu laufen und uns dort mit allem Komfort einzumieten. Ein Dach, ein Bett, eine warme Dusche und ein Essen. Ich brauche Gudrun nicht lange zu überreden.
Den wenigen Menschen, die uns unterwegs begegnen, meinen es gut mit uns. Sie scheinen immer gut informiert und sagen für den nächsten Tag sonniges Wetter voraus, wohl wissend das Wir uns weder am nächsten Tag, noch sonst wann wiedersehen werden. Erst ein Abendrot erweist sich als verlässlicher Wetterbote.
Während wir unser Zelt abbauen, trottet ein Klassenverband Jugendlicher mit großem Gepäck an uns vorbei. Ihr Zeltlager, gestern Abend in der Dämmerung aufgeschlagen, lag in Sichtweite. Jetzt kämpfen sie sich missmutig durchs Schneetreiben. Den Abschluss der Karawane bilden zwei Lehrer. Ein Schulausflug auf Norwegisch.
Das Wetter beruhigt sich ein wenig und beim Abstieg zum Gjende See erahnen wir, welch Ausblicke uns entgehen. Die letzten Kilometer durch einen sumpfigen Birkenwald ziehen sich.Wir sind am frühen Nachmittag in Gjendebu. Hüttentouren sind immer auch ein Wettrennen.

Als Sieger erhältst du, den besten Schlafplatz, warmes Wasser beim Duschen und im Trockenraum soviel Platz für deine Wäschen, wie du braucht und wir haben große Wäsche.
In Gjendebuh rückt mir eine Tischnachbarin beim Abendessen mit leisem Englisch auf den Laib. Ich gebe ihr zu verstehen, das ich mit dem Zelt unterwegs bin, zwei Menschen, eine Wildnis und das ich nur witterungsbedingt hier gestrandet und nicht auf Hüttengeselligkeit eingestellt bin.



Freitag 12.09.08

Was wir am Laib tragen, ist einmal durchgewaschen. Trockene Schuhe und Socken umschmeicheln die Füße und es regnet nicht. Wir sind wieder aufgerichtet, dank teurer Medizin. Die einfache Hüttenübernachtung mit Abendessen und Frühstück schlägt mit mehr als zweihundert Euro zu buche und reißt ein Loch in unsere Krisenkasse.
Den Gjende im Rücken geht es durchs Vesleaadalen langsam bergauf. Wir kommen gut voran. Der Himmel gönnt uns ein paar Lichtblicke. Erst im Raudalen fügen sich die Wolken wieder lückenlos zusammen. In diesem Tal wächst nichts höher als 1 cm, nur die Felsblöcke, die hier lose herumliegen werden, bis zu fünf Meter groß. Vor dem Dunkel werden glüht der Westen im Abendrot auf.



Samstag 12.09.08

Ich bin der Verzweiflung nah. Der erste Blick aus dem Zelt verliert sich schon wieder im nassen nebelgrau. "Was haben wir falsch gemacht" mit dieser Frage, will ich mich an den Himmel wenden. Doch kaum sehe ich nach oben erkenne ich: Keinen Grund zu klagen. Was uns umhüllt ist vergänglich, nur ein seidiger Schleier Frühnebel, dahinter schimmert es schon blau.

Wenn es sich vermeiden lässt, schlagen wir unser Zelt nicht direkt neben dem Wanderweg auf. Gestern ließ es sich vermeiden. Wir stehen auf einer Anhöhe, zwischen glatten Felsrücken die aussehen wie eine gestrandete Herde Zwergwale gerade noch in Sicht und Gruß Weite und das ist gut so. Gleich mehrere Gruppen Hüttenwanderer mit leichtem Gepäck sind früh unterwegs und währen uns durchs Frühstück gelaufen. Ihre letzte Etappe. An diesem Wochenende schließen viele Unterkünfte und am Montag wird die Fähre auf den Gjende- See aufs Trockene gezogen.
Wir haben noch ein paar Tage und machen uns im strahlenden Sonnenschein gut gelaunt auf den Weg durch einen bizarren Steingarten der uns gestern, noch wie eine unwirtliche Mondlandschaft vorkam.

Gleich mehrer Matterhörner im Maßstab zwei zu eins, ragen wie schneebedeckt Haifischzähne, in den tief blauen Himmel und spiegeln sich in klaren Bergseen.
Auf so einer Tour, klärt und bezieht sich das Gemüt mit dem Wetter.
Olavsbu ist eine urige Selbstversorger Hütte. Kojen, Kerzen und Kamin, fernab aller Zufahrten, in wilder Berglandschaft verspüre auch ich den Reiz dieser Behaglichkeit. Wir machen eine Pause mit Besichtigung und gehen als die Tagessieger eintreffen. Wir habe es nicht eilig, das Wetter ist zu schön und daher gönnen wir uns einen freien Nachmittag am See Raudalsvatnet. Egal wann wir wo eintreffen, wir sind meistens Sieger Unser Zeltplatz hat Aussicht, die paar Hände voll Waschwasser, sind immer gletscherkalt und waren nie wärmer.Nach der Körperhygiene, belegen wir unsere Plätze auf dem Sonnendeck für ein ungestörtes Nickerchen.



Sonntag 13.09.08

Das Kleingedruckte auf unsere Müslitüte ersetzt uns die Frühstückszeitung. Wir lesen Erbauliches über die alten Inkas und ihr heiliges Korn das Amaranth.
Unser Zelt und die Landschaft drum herum sind überzogen mit einer kalten weißen Kruste Raureif, doch der eisige Anstrich ist nicht von dauer.

Ich schlage einen Haken und es ist nicht mein Erster.
Nach der Hüttenübernachtung hatte ich die Tour gekürzt und Eisbuhgarden von der Liste unserer Etappenziele gestrichen und nun packe ich uns wieder ein paar Kilometer drauf. Richtung Sünden überqueren wir einen Bergrücken und gelangen so in Skogadalen. Der Aufstieg lohnt sich, auch wenn die schattige Nordflanke noch tückisch vereist ist, auf dem Grad angekommen, haben wir einen Rundumblick, soweit das Auge reicht nur unberührte, wild zerklüftete Berglandschaft.

Beim Abstieg durchs Skogadalen habe ich das Gefühl mit einem Fahrstuhl durch die Vegetationszonen zu gleiten.

Es geht gleich mehrere Stockwerke runter. Ganz oben gibt es nur Farbflecken auf den Felsen Flechten und Mose. Es folgt ein daumenhoher Bodenbelag aus Pflanzenminiaturen, dann mischt sich die Fjellheide darunter, erste Sträucher auf 1100 m, die Birken wagen sich bis an tausender Grenze. Nachmittags halte ich im richtigen Stockwerk.
Ich habe Gudrun Blaubeeren versprochen.

Weglos steuern wir auf eine kleine Erhebung zu, durchs Gebüsch, über zwei Bäche, an Sumpflöchern vorbei, bestätigt sich, was ich aus der Ferne sah.
Ein Zeltplatz, die Fläche ist so eben, dass es sich mit ein wenig Auspolstern als Bett taugt. Den Rest des Geländes ordnet Gudrun in die Kategorie "Wella Form" ein.
Der Herbst verwöhnt uns mit Abendsonne, einem Farbspektakel von flammend Rot bis Gold, zwei Schälchen Blaubeeren, und wenn wir uns Pilzen auskennen würden, könnten wie uns das Tütenmenü sparen.



Montag 14.09.08

Der Weg führt uns durch einen Birkenwald an der Hütte Skogadalboon vorbei ins Utlandalen. Eine norwegische Bilderbuch Landschaft. Drei Gebirgsbäche stürzen sich in die Tiefe und vereinigen sich in diesem grünen Tal zu einem Fluss.

Der Weg führt uns durch einen Birkenwald an der Hütte Skogadalboon vorbei ins Utlandalen. Eine norwegische Bilderbuch Landschaft. Drei Gebirgsbäche stürzen sich in die Tiefe und vereinigen sich in diesem grünen Tal zu einem Fluss.

Das Licht ist mild die Farben sind kräftig. In der Sonne knöpfst du dir dein Hemd bis zum Bauchnabel auf und lüftest deine wollende Unterwäsche

Aber Vorsicht im Schatten lauerte schon der Winter und wartet auf eine kalte Böe um dich anzuspringen.

Auf leichter Strecke geht es wieder eine Etage höher in Storutladalen. Der Wald dünnt aus und ein gemächlicher Fluss macht sich in der Fjellheide breit.
In den Sumpflöchern, durch die dich dein Weg führt, findest du unzählige Stiefelabdrücke. Dir ist aber keine Hundertschaft Wanderer begegnet, noch hast du sie aus der Ferne gesehen, oder gehört. Der kalte, zähe Morast konserviert die Spuren, selbst die Mulden tiefer Fehltritte überdauern Tage.
Wir schlagen uns Lager auf einer Flussinsel auf.



Dienstag 15.09.08

Heute ist wieder ein Deckel drauf. Der Hochnebel nimmt dem Gebirge die Höhe und die Farben und so wandern wir durch einen grauen Schlauch. Im Gravdalen gibt es einen Staudamm und einen Zufahrtweg, von der Staumauer bist zu Hütte Leirvassbuh. Für den öffentlichen Verkehr gesperrt. Der Wanderweg verläuft immer in Sichtweite, lässt aber kein Sumpfloch und keine unnütze Steigung aus. Ich kann mich nicht erinnern ein Gelüpte abgelegt zu haben. Wir wollen heute Strecke machen und bleiben mehr als 10km auf der Schotterpiste.
Von der Hütte Leirvassbuh erwarten wir etwas Erfreuliches. Salzig oder Süß, vielleicht ein Kiosk, oder ein Handynetz und finden dort nicht einmal eine Sitzgelegenheit.
Trostloses Wetter, trostlose Landschaft und die Hütte hat den Scharm einer heruntergekommenen Autobahnraststätte. Wie bleiben einen Molkeriegel lang und schlagen uns wieder ins unwegsame Gebirge.

Ich möchte mich nicht Übergebühr loben, aber ich überrasche mich immer wieder selber:
Genug gewandert. Wir haben für morgen die beste Ausgangsposition und werden nicht als Letzte auf der Spiterstulen ankommen. Zeit unser Zelt aufzubauen. Aber wo stellen wir es hin?
Die Fläche sollte möglichst plan sein und das ist auch in wilden Gebirgstälern meist die Ausnahme. Ich stelle mich auf eine Anhöhe und scanne die Topografie. Nach was suche ich?
Anomalien an der Schwelle der Wahrnehmung.
Die Landschaft gaukelt dir aus der Ferne an einigen Stellen vor Flach und bequem zu sein und erst beim Näherkommen erkennst du die kleinen Senken, den Maulwurfshügel oder eine Felsnase die dir beim Schlafen den Rücken verbiegen würden. "Dort!" ich zeige mit Finger an eine Stelle am Bach, dreihundert vielleicht vierhundert Meter Entfernung, die ich zielstrebig ansteuere. Gudrun folgt mir. Auf mein Bodenradar ist Verlass:
Wir treffen auf die drei Quadratmeter, die zur Schlafstatt taugen.
Wanderer die sich später in der Abenddämmerung in unsere Nähe niederlassen wollen, suchen lange und vergeblich, schultern ihre Rucksäcke und müssen ein gutes Stück weiter.
Genau genommen bin ich Brillenträger, trage sie aber nicht, mich leitete sicher keine lasergenaue Oberflächenmessung. Möglich das ich, auf eine Art Restwärme sensibilisiert bin.
"Hier hat schon jemand geschlafen."
Wir sind nie die Ersten an den Ausnahmeplätzen, wenn Steine zum Windschutz aufgeschichtet wurden, ist es eindeutige, aber meist sind es unscheinbare Bodenfunde, einen Topfgriff, Heringe, Trinkbecher, die den Hinweis geben. An unserem heutigen Zeltplatz finde ich eine Pinzette.



Mittwoch 16.09.08

Eine gute Nacht für Gletscher. Sie war sternklar und kalt. Frühnebel und Raureif am Morgen,
das erste Licht weckt in den Tälern keine Farben. Es hat sich Eis im Fußraum des Innenzeltes gebildet. Im Kopfbereich hält unser warmer Atem das Kondenswasser flüssig.

Die Gaskartusche hat nur noch wenig Druck. Der Kocher röchelt vor sich hin. Ich schüttel die Kartusche und die Flamme belebt sich, als Belohnung bekommen ich eine Tasse dampfenden Kaffee
Gegen halb zehn hat die Sonne den mühlseligen Aufstieg über die Bergflanke geschafft hat und heizt uns ein. Sie vertreibt den Frühnebel, knackt die eisigen Krusten und schenkt uns einen strahlenden Herbsttag

Heute ärgert mich mein Rucksack. Auf jeder Tour gibt es mindestens einen Tag an dem er zwickt und drück, egal wie du die Kräfte zwischen Becken und Schultergurten verteilst. Nur das mir gerade auf der letzten Etappe unbequem kommt, um gute 7 kg, bis auf die Ausrüstung und eine Notration abgemagert, befremdet mich.

Wir wandel schon seit Tagen auf den Spuren eines großen Baumeister. Dem Gaudi unter den Steinmännchenarchitekten. Seine Wegmarkierungen stehen meist erhaben auf Felsblöcken in der Landschaft. Auf diesen unebenen Fundamenten schichtete er die chaotische Vielförmigkeit herumliegender Steine zu filigranen Pagoden, zu Kartenhäuser die selbst Stürme überstehen und hier in Visadalen steigert er seine Kunst zur Meisterschaft.

Mal ein vorbei huschender Lemmingschwanz, die Raben, wenige Singvögel, die sich in der Jahreszeit zu irren scheinen und viele Spinnen, das ist die Kurzbeschreibung unsere Tierbeobachtungen und heute läuft uns eine Herden Renntiere über den Weg.

Angekommen! Schade! Auch Gudrun meint die Tour hätte länger dauern können. Zwei, drei Tage mehr hätten wir uns problemlos aufladen können. Beim nächsten Mal im Dovrefjell oder auf dem Kungsleden

Bevor ich mich mit viel heißem Wasser Seife und einer Rasierklinge restauriere, gebe ich die Kamera für ein Foto aus der Hand. Mein Porträt spricht Bände: Er war schöner Urlaub, aber kein Schönheitsurlaub.



Oslo

Ein Volk ist auf Kaffee und zwar auf Guten. Teilen sie sich dann am Wochenende eine Dose Bier, grölen sie die Nacht durch bis zum Morgengrauen.
Selten soviel Drogenzombies in einer Stadt gesehen.
Eine Horde bulgarischer Akkordeonspieler sorgen, trotz bedeckten Himmels für Balkanstimmungen. Die Frauen bieten Strohhüte zum Kauf, doch ich zweifel, dass diese Kopfbedeckungen wasserdicht sind und wärmen.
Die Stadt ist gepflastert mit Skulpturen aus Bronze, Marmor oder ähnlich robusten Materialien und bevorzugt wird bloße idealisierte Menschlichkeit dargestellt.
Wir besuchen einen Wallfahrtsort deutscher Gesichte. Die neue Oper. Hier hat unsere Bundeskanzlerin zur Eröffnung Dekolleté gezeigt. Der beeindruckende Eisberg aus Aluminium, Glas, Granit und Marmor ist im Abendlicht ein Muss für Fotografen und wird dem Tauwetter der Zeit länger widerstehen als die Erinnerung an Frau Merkel.


Rolf Puschnig Oktober 2008



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