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Prolog

Ein Bericht über eine Trekkingtour ist immer auch ein Bericht über das Wetter. Das Wetter, die Ausrüstung, der Weg und deine eigene Verfassung sind die vier Faktoren, die über das Gelingen einer Tour entscheiden. Das Wetter kann dich begleiten, belohnen, herausfordern, frustrieren, es kann bedrohlich werden und du kannst daran scheitern. Uns hat das Wetter auf dieser Tour selten belohnt, oft herausgefordert und frustriert und wir habe einen wagen Eindruck bekommen wie es sein könnte zu scheitern.

Ich habe wieder Mal einen Satz Karten zu viel gekauft. Ursprünglich wollten wir über Trondheim fliegen und im Dovrevjell wandern. Doch als man uns im Reisebüro den Preis für Flug und zwei Übernachtungen mit 1300€ ausrechnete, baten wir um Bedenkzeit.Norwegen ist teuer, aber soviel Extravaganz muss dann doch nicht sein, nach kurzer Beratung, wurden wir uns einig, wie gewohnt Oslo anzufliegen und im guten alten Cochs Pensionat zu übernachten.
Blieb die Frage: Wo wandern wir?
Zum Dovrevjell war uns der Anfahrtsweg von Oslo zu weit.
Die Rondane war uns zu gemäßigt.
Jothunheimen war das Ziel unserer letzten zwei Touren
. Wir suchten Rat in unserer umfangreichen Norwegen Literatur und fanden ihn:
Eine Tour rund um den Hardangerjokulen einem Gletscher in der Hadangervidda die ist so groß, dass du auch drei Mal hinfahren kannst, ohne dir über den Weg zu laufen. Finse sollte Start und Ziel der Wanderung sein und Finse erreichst du von Oslo bequem mehrmals täglich mit dem Zug



Oslo Anfang September 2009
Egal was uns fehlt, wir müssen es in Oslo nicht suchen, nach unserm fünften Kurzaufenthalt in der Stadt sind wir ortskundig. Trekkingläden gibt es an jeder Ecke, also auch Gas für den Kocher, meine fehlenden Karten bekomme ich im DNT-Laden, gegenüber von XXL einem großen Sportsupermarkt.
Einem Geschäft, das uns eine Flasche Wein verkauft, war im letzten Jahr, selbst in dunkelsten Gassen, wo härtere Rauschmittel angeboten wurden, nicht auffindbar und jetzt entdecken wir gleich bei unserer Ankunft einen gut sortierten Weinhandel im Bahnhofsgebäude.



Erster Tag
Finse, du kann dem Ort vieles nachsagen: höchster Bahnhof, Trainingscamp für Polarexpeditionen, Traumziel vieler Mountainbiker, aber nicht, dass die Siedlung Charm besitzt.
Bei unserer Ankunft ist es am Nachtmittag so düster, dass Flutlichter die Szenerie erhellen. Das Bahnhofsgebäude, ein Hotel, verschlammte Wege, Bretterverschläge und überall liegt Baumaterial herum, Angefangenes und liegen Gelassenes, als hätte man hier Großes vorgehabt, nur fehlte es plötzlich an der Zeit oder am Geld oder es war seit Jahren schlecht Wetter. Ich tippe auf Letzteres.
Wir packen uns und die Rucksäcke in Regenzeug und marschieren los. Weit soll es heute nicht mehr gehen, nur außer Sichtweite dafür brauchen wir zwei Stunden, aber dann sind wir allein mit der Landschaft und dem Wetter.
Am Abend wechseln die Lichtstimmungen so schnell, als hätte Tarantino den Film geschnitten. Das Beleuchtungsspektakel ist eine Vorankündigung, bald darauf zieht ein Gewittersturm auf.



Jedes Zelt ist nur so gut wie seine Abspannung.
Der Wind kommt aus allen Richtungen, starke Böhen rütteln am Zelt und zerren an den Leinen. Plötzlich gibt etwas nach, das Zelt ist aus dem Gleichgewicht. Das Gestänge biegt sich bedrohlich durch. Es ist entweder eine Sturmleine gerissen oder die Heringe haben sich gelöst. Eine solche Beanspruchung wir das Gestänge nicht lange mitmachen. Ich muss aus dem Zelt, keine Zeit sich eine Regenjacke überzuziehen. Es sind die Heringe, der sinnflutartige Regen weicht den Boden auf, sodass der Sturm die Verankerungen wie lockere Zähne zieht. Ich suche Stellen mit mehr Halt, verdichte mit schweren Wanderstiefeln an den Füßen den Boden und kann nur hoffen das der Untergrund in der Nacht seine Festigkeit behält.
Es gibt einen beruhigen Gedanke über den ich in den Schlaf finde, zwei Stunden bis Finse, sollten wir in dieser Nacht, bei schweren Wetter Schiffbruch erleiden, ist das rettende Ufer nicht weit.


Zweiter Tag


Das Zelt hat allen Unbilden der Nacht überstanden.
Der Sturm ist abgeflaut. Es regnet. Wir haben unser Regenzeug übergezogen, und lassen es an, für die kurzen Regenpausen lohnt die Mühe des Ausziehens nicht.
Flüsse, Seen, Sümpfe, Morast und Rinnsale, wo das Wasser nicht fließt, steht es, sättigt den Boden, oder wartet als Schneebrett oder Gletscherzunge auf das große Tauwetter.

Eine Landschaft wie in den Morgenstunden des dritten Tages. Nach dem Frühstück will Gott sich die Zeit nehmen, das Wasser auf der Erde vom trockenen Grund zu teilen.
Auf unserer heutigen Etappe kommt der Weg dem Gletscher nah. Nicht Kondition, sondern Konzentration und Trittsicherheit werden uns hier abverlang. Es gilt Geröll und Schneefelder zu überqueren. Eine Rutschpartie auf glatten Untergrund hätte fatale Folgen.
Ich mache meine erste Erfahrungen mit Eis. Die Passage ist knappe zwei Meter breit, eine Abkürzung aber ohne Steigeisen unüberwindbar. Die Einsicht kommt mir erst, als ich auf dem einzigen Tritt stehe, haltlos auf der Kippe und nicht mehr vor oder nicht zurück weiß. Mir bleibt nichts anderes üblich, als auf einer vorderfußbreiten Stelle zu drehen.
Und wenn dann plötzlich helles Licht für einen Moment die Landschaft erhellt, musst du für ein gutes Foto schnell sein wie Paparazzi, bevor die nächste dunkle Wolke den Vorhang zu zieht.

Da wir neben unseren Karten auch eine Kopie des Reiseberichtes mithaben, wissen wir, was uns erwartet.
Der Zeltplatz am See mit dem schwarzen Strand ist überzeugend und es lohnt sich hier schon am Nachmittag sein Zelt aufzuschlagen. So bleibt Zeit sich von dem Ort verzaubern zu lassen. Schwarz Schotterplateaus, eben und feinkörnig, in Zeltplatzgröße, erheben sich über der moosgrünen Ebene. Ein vielarmiger Gletscherbach hat vor dem See ein kleines Miniaturdelta mit den Inseln ausgewaschen, die Gletscherzunge in Sichtweite grünt das Moos nirgends Grüner. Ein mystischer Ort, so empfand es wohl auch der unbekannte Künstler, der auf einem Plateau Steine zu Spirale ausgelegt hat.


Dritter Tag
Die trockenen Goretexschuhe die bis zum Schaft in einem Aquarium mit sprudelnden Wasser stehen, sind nur ein Reklametrick, eine optische Täuschung. Beim genauen Hinsehen erkennst du, das die Luftblasen in einer schmalen Schicht Wasser zwischen doppeltem Glas aufsteigen.
Tatsache ist unsere "wasserdichten" Schuhe sind keine Gummistiefel, die wären hier aber nötig. Seit Anfang der Tour wandern wir größtenteils durch Bäche, Rinnsale und Morast, und es bietet sich keine Gelegenheit das Leder oder die Einlegesohle zu trocken.
Erst klamm, dann feucht, jetzt Nass und so wird es bleiben. Wir steigen morgens in nasse Schuhe.

Bei schlechtem Wetter ist mir mein Fotoapparat schon eine besondere Last. Ich leide, unter dem Diebstahl am Bild, ärgere mich, weil sich mir die überwältigende, großartige, archaische Landschaft nicht im passenden Licht präsentiert wird oder sich gar in Wolken und Nebel hüllt.
Heute ist wieder so ein Tag: Wir wandern auf Aussichtssichthöhe entlang eines mit Fjellheide ausgelegten Tals. Bäche und Flüsse, die sich teils von den Steilhängen in die Tiefe stürzen, stauen sich zu einer Kette von Seen

Hardangerjokulen streckt uns gleich zwei blau schimmernde Gletscherzungen entgegen. Der Gletscher selbst bleibt auf seinem höher gelegen Plateau ungesehen.
Dann wieder bin ich gleich mehrere tiefe Atemzüge lang nur Stolz und glücklich. Das Nomadenblut pulsiert in meinen Adern. Wir wandern durch eine urwüchsige Landschaft, bei urwüchsigem Wetter. Mit mehr als nur dem Notwendigsten im Gepäck sind wir für acht Tage abgetaucht und erfüllt von einem archaischen Lebensgefühl, das uns mit dem sesshaft werden abhanden gekommen ist und nach so einem Urlaub freut man sich wieder auf ein festes Dach über dem Kopf.
Als Nachtisch gibt es heute zum Abendessen frisch gepflückte Blaubeeren mit Vanillepudding.
Im Reisebericht wird ein Zeltplatz auf eine Aussichtsplattform mit grandiosem Blick ins Tal angepriesen, aber bei diesem stürmischen Wetter gebietet mir die Vernunft, einen geschützten Zeltplatz dem Aussichtsreichen vorzuziehen.

Vierter Tag
Unser Weg führ uns entlang des Leirborn.
Der Fluss ist nur eine Tageswegstrecke lang, bietet aber alle Facetten einer großartigen Flusslandschaft. Gletscherzungen und Wasserfälle sind seine Quellen. Er speist mehre Seen, zwängt sich durch einen Canyon, mäandert sich danach ruhig und gelassen durch eine Sumpflandschaft und umspült an seiner Mündung drei grüne Inseln.
Wenn Gudrun ihre Tüte mit den Pausenleckereien auspackt, ist es so als wären wir gerade an einem gut sortierten Kiosk vorbei gekommen: 3 Sorten Schokolade, Fruchtschnitten, Molkeriegel, Lakritz, Fruchtbonbons und Dörrfleisch (ein norwegischer Kiosk). Die Rationen sind zwar abgezählt aber für elf statt für acht Tage. So ist immer das eine oder andere Extra drin.
Am Sysenvatnet Stausee steigen wir zu einer stillen Hochebene auf. Wir hören kein Gurgeln und kein Plätschern. Es fließt nichts. Nur stehende Gewässer. Der Boden kennt zwei Zustände, Fels oder Morast, teils Knie tief. Ringsum siehst du die Bergstümpfe, eines in der letzten Eiszeit von Gletschern heruntergeschliffenen Gebirges. Oder waren es die tief ziehenden Wolken?
Morgens hing der Himmel, hellgrau mit himmelblauen Schlieren, noch hoch und die Sonne schaute kurz auf ein Foto vorbei. Gegen Mittag rutscht der Himmel schwer und grau wie Beton 2 Etagen tiefer. Es beginnt zu regnen und hört nicht auf.
Am Abzweig Richtung Rembesdalseter verlassen wir die im Reisebericht beschrieben Route, wir haben einen Tag mehr Zeit und bleiben auf westlichen Kurs. Wir werden erst an der Hütte Liseth, den Weg nach Norden einschlagen.
Kaum verspricht ein fröhlich, plätschernder Bach wieder frisches Trinkwasser, schlagen wir unser Zelt auf.



Fünfter Tag
Über Nacht ist das Barometer um 12 mBar gestiegen, das gibt Anlass zu Hoffnung.
Die trockenen Morgenstunden nutzen wir, um uns im nahen Bach gründlich zu waschen.
Bald werden wir von zwei Norwegern erfahren, dass die Wetterberuhigung nur von kurzer Dauer ist und es im August 28 Tage geregnet hat, da schließt sich der September nahtlos an. Wir laufen schon wieder komplett im Regenzeug gehüllt.
Nach dem Abstieg zum Isdalsvatnet könnten wir auch mit dem Auto weiter, die Straße sind wir schon gefahren. Ich werde ungeduldig. Der Weg zur Hütte Liseth, durch eine sumpfige Flusslandschaft, zieht sich in die Länge. Die Hütte ist der Umkehrpunkt unserer Tour. Nun geht es Richtung Norden und wieder bergauf und mit den Spuren der Zivilisation verschwindet nach der zweiten Steigung auch meine Ungeduld.

Lemminge sind unsere Weggefährten. In den vorangegangenen Jahren bekamen wir sie nur selten als grau, braune Fellblitze in der Fjellheide zu Gesicht. In diesem Jahr torkeln sie uns träge in Vielzahl über den Weg, als wollten sie sich vor unsere schweren Wanderstiefel werfen. Wir entdecken auch einige Kadaver der kleinen Nager. Ich vermute Todesuhrsache ertrinken.
Am späten Nachmittag genießen wir zwei Stunden Sonne und dann darf ich mich beeilen die zum trocknen ausgelegte Wäsche, vor dem nächsten Regen in Sicherheit zu bringen.
Ein gutes Buch ist der halbe Urlaub und wir haben gleich drei dabei, aber so rechnet sich das wohl nicht.

Sechster Tag
Das es Regnet ist keine Überraschung. Wir kennen die Wettervorhersage.
Und wenn du das Zelt bis auf die Außenhülle entkernst, ist es dir drinnen möglich, einen Großteil der Ausrüstung trocken in den Rucksack zu bekommen.
Vor uns geht es in zwei mächtigen Stufen ins Simardalen und zum Fjord hinab, wir nehmen nur die eine Stufe, um dann gleich wieder Richtung Hardangerjokulen anzusteigen.

Schlamm ist zäh. Auf Schlamm rutsch du langsamer und fällst weicher als auf Fels. Wir sind nicht die Ersten, die den markierten Weg den Hang hinunter meiden. Im Trockenen sind die Felsstufen gut begehbar, aber wann war es hier das letzte Mal trocken, und so zweigen auch wir ab, suchen Passagen auf deren Vegetationsdecke noch nicht ganz untergepflügt ist. Das Wurzelwerk verspricht für wenige schwere Stiefelschritte Halt.
Nach dem Aufstieg am Skykkjedavattnet stehe ich vor dem tiefsten Abgrund meines Lebens. Jetzt könnte die

Landschaft einen ihrer großen Auftritt haben, für den sich die mühselige Anreise lohnt. Aus einer Höhe von über tausend Metern, der Freier Blick durch das Simadalen bis hinab in den Fjord. Durch Wolkenschleier verhangen, können wir nur ahnen, was wir bei gutem Wetter sehen würden.
Immerhin, nur eine Viertelstunde später haben wir im dichten Nebel Mühe mit der Orientierung, und wären wohl ahnungslos an diesem Abgrund vorbeigelaufen.




Siebter Tag
Auf uns wartet die größte Herausforderung der Tour. Bei Regen hinunter zur Hütte Rembesdalseter und wieder hoch.
Hinter dem Regen steht das Ausrufezeichen. Bei Trockenheit ist die Tour über die Felsplatten ein Spaziergang, aber bei Regen verlierst du hier schnell das Überlebenswichtigste, den Halt, vor allem bergab ist das Gleichgewicht auf nassen, glatten, moosigen Fels trügerisch.
Ich weiß, dass es nicht auf die Haltungsnoten ankommt, und wenn schon rutschen, dann bitte auf jenen Körperteil den die Natur dafür vorgesehen hat, auf dem Hintern, und so meistern wir die schwierigsten Passagen im "fünf Punkt Gang" und kommen heil hinunter, aber noch ist die Hütte nicht erreicht.
Der Weg führt uns entlang eines Steilhanges am Ufer des Sees Rembesdalsvatnet. Jetzt werden die Arme gefordert, es gilt unzählige kleine Kletterpassagen zu überwinden, da heißt es ziehen, stützen und stemmen.
Wir sind allein in der Selbstversorger Hütte und gönnen uns eine viertel Stunde ohne Regen. Das ist keine trockene Pause, denn wir sind bis auf die Haut nass, nicht allein die Schuhe, daran haben wir uns im Laufe der Woche gewöhnt, nein unser Regenzeug hält dem extremen Wetter und der Beanspruchung nicht mehr Stand.



Uns ist kalt, die Hütte lockt mit Behaglichkeit, wir müssten nur ein Feuer entfachen, trockenes Holz lagert hier Klafterweiße, und über dem Ofen hängt ein großes Metallgestell, da könnten wir die Nässe aus den Schuhen und der Ausrüstung herausdampfen, währen wir es uns in Stockbetten gemütlich machen.

Wir widerstehen, schultern unsere Rucksäcke und laufen weiter, zu bleiben hieße unsere Zeitreserve aus Bequemlichkeit aufzubrauchen.
In manchen Wanderführern wird die Strecke Remdesdalseter - Finse als Tagestour angegeben. Kein Problem bei gutem Wetter und mit leichtem Hüttengepäck, aber wir haben beides nicht. Zeitangaben sind grundsätzlich wetterabhängig.
"Ist es bis Liseth noch weit?"
"Plant ihr eine Nachwanderung?"

"Nein:"
"Dann ist das heute nicht mehr zu schaffen."
Gestern Nachmittag sind wir vier Männern begegnet, die sich an einer sportlichen Tourenvorgabe versucht haben und gescheitert sind. Am Vortag hatten sie die Strecke Finse-Remdesdalseter mit Mühe bewältigt doch Remdesadaleter-Liseth war dann doch eine Nummer zu groß.
Sie hatten zwar ein Zelt im Rucksack, doch drei von den Vier fürchten das schlechte Wetter. Einer hatte Knieprobleme, der andere kannte sich aus und der letzte hatte resigniert. Schließlich entschied der, der sich auskannte, die 800 Höhenmeter bis ins Simadalen hinab zusteigen, da hatten sie noch drei Stunden Licht.
Unser Weg orientiert sich an einem kleineren Wasserfall, wobei wir teils teils die gleiche Rinne benutzen, das Wasser bergab und wir bergauf, aber bergauf fühlen wir uns trittsicher. So sind auch die großen, glatten Felspassagen, gegen die Schwerkraft leichter zu bewältigen als mit, der Neigungswinkel ist wohl auch flacher als am Morgen beim Abstieg zur Hütte.
Der starke, böige Wind erschwert den Zeltaufbau. Heringe bekomme ich keine in den felsigen Boden, aber es liegen genug große Steine herum und ich bin fleißig und bewege wohl an die 100kg, Das Zelt geht ehr in Fetzen, als das sich meine Verankerungen lösen würden. Gudrun ist mit dem Innenausbau beschäftigt. Ich muss noch 4 Liter Wasser durch einen Keramikfilter pumpen, bevor ich ins Trockene darf.

Zur Belohnung gönne ich mir erst einmal einen Kaffee. Für den Rest des Tages machen wir es uns behaglich. Unser Zelt ist wie ein trockener Stollen, den wir abgestützt auf zwei Aluminiumbögen ins schlechte Wetter gegraben haben und mehr Platz als in der frühen Zeit des Bergbaus bietet die Tunnelkonstruktion auch nicht.
Unsere Freizeitkleidung besteht aus Wohlfühlsocken, langen Wollunterhosen, Wollshits und Daunenjacken.
Das Abendessen ist so großzügig bemessen wie die Zwischenmalzeiten. Fürs Tragen und Kochen des Hauptgerichtes bin ich zuständig und ich kenne meinen Hunger.
Satt und träge erwartet uns nach dem Essen, dank wasserdichter Packsäcke, ein warmer Schlafsack, auch die maßgeschneiderte Zeltunterlage, die bis in die Apsis reicht, war eine gute Investition. Wir lesen noch ein paar Stunden, sind keine Frühaufsteher. Es ist ja Urlaub, da bleibt noch Zeit sich auszuschlafen. Vor die Tür gehen wir mit Sandalen und nur wenn nötig ist: Spülen, Zähne putzen und noch einmal hinter den Felsen.
Sich kurz dem Wetter auszusetzen bestärkt bei mir das wohlige Gefühl, dass ich im Zelt gut aufgehoben bin und das sind wir, im Zelt gut ausgehoben.
Wäre es anders, würde ich meinen Glauben an gute Ausrüstung, der morgen früh, wenn ich wieder in meine nassen Wanderschuhe steigen muß erschüttert wird, gänzlich verlieren.


Achter Tag
Der Tag beginnt heller als wir gewohnt sind. Ein kalter, kräftiger Wind lockert die Wolke auf. Das ist Wetter zum Trocknen: Noch vor dem Frühstück verteile ich die nasse Kleidung und Ausrüstung auf die umliegenden Felsen.
Sisyphusarbeit, vier Mal treibt der Wind eine undichte Wolke heran und mich aus dem Zelt. Es sind kurze, kräftige Schauer doch ich bleibe hartnäckig, kaum ist es trocken, flattern Hemden und Hosen wieder im Wind.
Was ich mir danach überzieh, ist nur feucht und klamm nicht nass. Ich habe gut gefrühstückt und kann dagegen anheizen. Gudruns Fleecejacke und Trekkinghose haben gestern mehr Regen abbekommen und bleiben nass. Viel Wäsche zum Wechseln haben wir nicht, schon gar keine zweite Fleecejacke und so zieht Gudrun, das einzig saubere, das Trekking und Nacht-Shirt übereinander an. Eine lange Unterhose unter der Regenhose hat sich schon auf unserer letzten Tour bewehrt.

Es ist kälter geworden. Wir sind dem Gletscher nahe.
Das Licht, der Himmel und die Landschaft erscheinen mir heute atemberaubend weltfremd. So muss das Paradies an einem frühen Morgen nach der Eiszeit ausgesehen haben. Der Himmel ist bedrohlich die zurück weichendem Gletscher haben ein Felschaos hinterlassen. Doch in dem Grau, Schwarz, Weiß mischen sich Grün und Ocker die ersten Farben des Lebens.
Die besondere Stimmung des Lichts wird sich bald als schlechtes Vorzeichen offenbaren.
Wir kommen nur langsam voran. Immer wieder warte ich, die Kamera auf die Trekkingstöcke gestützt, auf den windstillen Moment, denn die Böhen schütteln uns kräftig und das Panorama verlangt nach mehr als einem Foto.

Der Reisebericht verspricht, ein paar Kilometer weiter, wo blau schimmernde Gletscherzungen in Seen kalben, eine noch großartigere Landschaft.
Doch die Vidda und der Gletscher sind ist in diesem Herbst Fotoscheu und verbünden sich in ihrer Schamhaftigkeit mit dem Wetter, doch dieses Mal verschleiern nicht Wolken den Blick, nein der Wind erhebt sich zum Sturm und der Sturm mischt sich mit Hagel und Regen, zu einem Unwettergebräu und so schmecken wir ein wenig

von dem, woran du auf so einer Tour scheitern kannst, ein Schicksal das uns erspart bleibt.
Trotz des Unwetters bleibt die Situation kalkulierbar. Wir werden die Nacht nicht im Zelt verbringen. Finse ist in erreichbarer Nähe. Manche Orkanböen hebeln uns zwar kurz aus, aber der Weg kommt ohne Abgründe, schwierige Kletterpassagen und heikle Balanceakte daher und vor allen trifft uns der Sturm im Rücken und von der Seite. Den Hagelgeschossen, die prasselnd auf unser Regenzeug einschlagen, entgegen zu laufen, wäre ohne Schutzbrille unmöglich.
Ein paar Kilometer weiter scheinen sich andere Dramen abzuspielen. Wir sehen einen Rettungshubschrauber im waghalsigen Anflug auf den Gletscher und dort herrscht zu allem Übel auch noch Nebel.
Wir haben gute Sicht, aber keine Muse mehr für Seitenblicke. Die Kamera ist wasserdicht verstaut. Als Voranlaufender wird der minütliche Blick nach hinten zu einer Pflichtübung. Im Unwetterlärm würde ich jeden Hilferuf überhören. Wir wollen uns auf der letzten Etappe nicht verloren gehen.
Gegen 19:00 Uhr erreichen wir die DNT-Hüte in Finse.
Es ist Anfang September, wir haben in den letzten Jahren schon die Erfahrung gemacht das in diesem Monat die Berghütten in Norwegen zu Schullandheimen umfunktioniert werden.
In Finse sind gleich drei Klassen untergebracht in jedem bewohnbaren Flur eine. Nach dem Sturm draußen, steht uns der Sinn nach Ruhe und nicht nach lärmenden Pubertätsgewitter.
Das Doppelzimmer im Hotel mit Abendessen und Frühstück kostet uns 270€.
Frisch geduscht und mit dem am Laib, was trocken geblieben ist, sitzen wir beim Abendessen vor einem großen Panoramafenstern mit Blick auf den See und die Berge. Durch den Perspektivwechsel draußen/ drinnen verliert das Unwetter die Zähne und hat nur noch Unterhaltungswert.
Ich bin plötzlich so kraftlos und erschöpft, das es mir schwer fällt, den Halbliterkrug Bier zu Munde zu führen.


Rolf Puschnig



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