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Die kleine Mythologie des Rauchens

"Haben sie Feuer?"
"Nein ich bin Nichtraucher."

Zu blöd: Ich hätte mich für diese Antwort vor ein paar Jahren noch selbst gehasst. Ich wurde gefragt, ob ich Feuer habe und nicht ob ich rauche oder nicht rauche.
Zu langsam: An das Feuerzeug in meinem Rucksack denke ich erst, als es schon zu spät ist mich zu korrigieren.
Der Raucher in der Not hat einen Tisch weiter seinen Retter gefunden und nach dem ersten tiefen Zug gibt er der blauen Wolke aus seinem Mund eine eindeutige Richtung.
Was für ein starkes Kraut. Sicher etwas Einheimisches. Selbst verdünnt mit zwei Metern frischer Luft, reizt der Rauch meine Bronchen und dem Griechen steckt die Zigarette filterlos zwischen den Lippen, aber auch er hat zu kämpfen. Das Gift rührt selbst den Helden.
Ich schaue mir nun das Individuum, das mich aus meinem Dösen reißt, genauer an. Ein Mann, wie eine Leihgabe aus der Literatur. Allein die Garderobe ist bemerkenswert, schwarze Schuhe, eine lange, dunkle Anzughose und über dem gestärkten weißen Hemd trägt er einen Strickpullunder, als wäre er hier gestrandet, aus einer vergangenen Zeit, einer anderen Klimazone.. Wir haben knapp unter 30° im Schatten. Ansonsten ist seine Erscheinung stimmig, das dichte dunkle Haar mit grauen Strähnen, Größe und Statur, markante Gesichtszüge braun gebrannt, und der Schatten, den das Alter wirft, ich schätze auf Ende vierzig, gibt seinem Aussehen den nötigen Tiefgang. Die gelben Zähne und die Nikotinverfärbungen an Mittel und Zeigefinger der rechten Hand deuten darauf hin, was wirklich an der Vitalität dieses Archetypen nagt.
Ich krame mein Feuerzeug aus dem Rucksack. Die kleine rote Einwegausführung reicht dem Nichtraucher, um auf Jahre höflich zu sein.
Als Feuerzeuge noch zu meiner Bekleidung gehörten hatte ich eine Sammlung, auch aus Silber oder mit lederbezogen und mit Benzin befeuert, passend zu jeder Garderobe. Jetzt habe ich nur noch das eine, einfach und zuverlässig. Ich steckte es in die Hemdtasche, damit ich es nicht vergesse.
"Ich habe Feuer."

Das Wetter ist zu schön, um an alte Feinde zu denken. Ich habe Urlaub, bin auf Kreta und gönne mir einen ruhigen Tag am Strand. Ein gutes Buch hilft mir über meine Rastlosigkeit hinweg.
Vor was auch immer du fliehst, in Agia Georgies findest du ein paar Stunden Ruhe. Diese idyllische Bucht mit einer Taverne scheint unentdeckt. Vielleicht dreißig Badegäste haben sich heute auf den Weg zu dem feinen Kiesstrand gemacht. Von Agia Galini ist es eine gute Stunde zu Fuß, auf steinigen Pfaden durch die verdörrte Hügellandschaft. Die Anfahrt mit dem Auto ist nur für geländegängige Mietwagen empfehlenswert. In der Saison soll es ein Wassertaxi geben, doch wir haben Ende September.
Kostas Taverne macht die Bucht zu einer Oase. Ein Kühlschrank, eine Fritteuse, ein Grill: Diese Standardausrüstung, der guten griechischen Küche findet Platz in einer gerade vier mal vier Meter großen gemauerten Laube mit kleinen Fenstern. In der Ferne tuckert ein Stromgenerator. Bewirtet wird auf der großen Terrasse. Ein lichtes Dach aus Bastmatten beschirmt Schatten spenden Tische und Stühle. Der Boden ist mit Steinplatten ausgelegt. Doch der wahre Schatz einer Oase ist das Wasser und davon schein Kostas reichlich zu haben, soviel das er es ringsherum grünen und blühen lässt. Das hohe Schilf, die Kapuzinerkresse und die Agaven wachsen wild, die Palmen in Kübeln sind hergeschafft. Ich sehe hinunter zum Strand. Die tief stehende Sonne wirf einen gleißenden Fächer Licht aufs Wasser. Ich kann mir das Mittelmeer nicht wild vorstellen.
Kostas tischt auf. Ich habe mir nicht mehr als einen Aperitif bestellt, Mein Abendessen im Hotel ist meist schmackhaft und immer sättigend. Jetzt will ich genießen. Ein Schälchen schwarzer Oliven wurde mir schon zum Rezina gereicht, aber ich habe widerstanden. Nun ist der gerillte Tintenfisch serviert und ich kann meine Geschmackszellen auf die Reise schicken und so treffen wir uns, schon beim ersten Bissen im Hier und Jetzt auf Kreta. So schmeckt Griechenland.

Ich habe mir in Kostas Laube eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank geholt und auf dem Rückweg komme ich am zügellos rauchenden Griechen vorbei, gerade in dem Moment, als der sich die nächste Zigarette zwischen die Lippen steckt. Die Gelegenheit meinen Fehler wieder gut zu machen.
"Feuer?"
"Danke!"
Er hält die hingehaltene Hand fest, als fürchte er das ich das kleine rote Feuerzeug im letzten Augenblick weg ziehe. Einen Atemzug später ist die Luft mit beißendem Rauch durchmischt. Er lässt mich aber nicht los.
"Ein Nichtrauche mit Feuer?"
"Ein Exraucher."
"Ein Exraucher die sind noch schlimmer."
"Möglich, aber da kann das Feuer ja nichts dafür."
"Das Feuer kann nichts dafür? Ohne Feuer kein Rauch!"
"Ohne Feuer keine Menschheit. Im Feuer wurden die Zivilisationen geschmiedet. Feuer war der Anfang und Feuer wird das Ende sein."
"Ein Seher, ein Philosoph, so etwas findet man hier in letzter Zeit nur noch selten. Komm setzt dich mein Freund."
Ich sehe zu meinem Tisch, die Teller sind leer der Wein getrunken und meine Rechnung ist bezahlt. Mit frischem Wasser habe ich mich für den Heimweg eingedeckt, aber noch steht die Sonne eine Handbreit über dem Meer und ich bin neugierig, also zögere ich nicht lange und komme der Einladung nach.
"Wer soviel über das Feuer weiß, kann auch sagen, wer den Menschen das Feuer zurückgab?"
Ich bin auf Kreta, der Ort schränkt die möglichen Antworten auf die Eine ein.
"Prometheus"
Der Grieche nickt freudig, als hätte ich ihn mit Vornamen angesprochen.
"Möchtest du einen Raki mein Freund?"
Wasser und Schnaps stehen auf dem Tisch und der Inhalt seines Glases ist trüb eingemischt, doch ich zeige in Richtung Nordwesten:
"Ich muss gleich noch über den Berg!"
"Nach Agia Galini, aber einen Retzina wirst du mir nicht abschlagen."
"Da kann ich nicht Nein sagen."
Wie auf stillen Befehl steht Costas, Augenblicke später, mit dem kalten Weißwein und einem Schälchen schwarzer Oliven am Tisch. Bevor ich mich über seinen vorausschauenden Gehorsam lange wundern kann, lenkt mein Gastgeber die Aufmerksamkeit auf die gratis Köstlichkeiten.
"Die Oliven macht Costas Mutter, nach einem sehr sehr alten Rezept, solche findest du in der ganzen Ägäis nicht."
Ich nicke und nehme mir eine. Er wirft die Kippe auf den mit Steinplatten ausgelegten Boden und tritt die Glut gründlich aus. Was an zermahlenen Tabak und Papier übrig bleibt, holt sich der Wind.
"Immer vorsichtig, die Insel ist trocken."
Zwei Oliven lang hält er es ohne aus, dann hat er die Nächste zwischen den Lippen und ich gebe ihm Feuer, ohne gefragt zu werden.
"Das ist bequem mit einem Feuermacher am Tisch."
"Sie sprechen gut deutsch."
"Ich war öfter in Deutschland, das letzte Mal Ende der Sechziger, da habe ich bei Ford in Köln-Niel gearbeitet. Aber das Klima war nicht gut für meine Bronchen."
Zur Bestätigung hustet der alte Grieche, das gehaltreiche feuchte Husten des Kettenrauchers und was zutage gefördert wurde, landet in einem großen gemusterten Schnupftuch.
Ende der Sechziger bei Ford in Köln gearbeitet. Das passt nicht, denke ich, auch aus der Nähe schätze ich mein Gegenüber, nahe der Fünfzig, aber nicht drüber. Doch mit dem Schatten dieses Zweifels, nach dem Alter zu fragen wäre unhöflich.
"Du hast auch geraucht?"
"Ja!"
"Wie viel?"
"Vierzig, an manchen Tagen auch fünfzig und mehr."
"Da hast du geraucht wie ein Mann, nicht wie ein Mädchen."
"Ich habe zu viel geraucht!"
"Wie viel sind zu viel?"
"Schon die Nächste ist zu viel!"
"Ja. Hast recht. Aber jetzt hast du es ja hinter dir."
"Weiß nicht. Die Frage kann ich erst in ein paar Jahren beantworten, noch bin auf der Flucht."
"Seit wann?"
"Februar 2003."
"Da hast du es aber schon weit gebracht."
"Sagen wir Mal: Ich habe mir einen Vorsprung herausgelaufen."
"Du bist ein Läufer?"
"Richtig ein Läufer!"
"Dafür ist es hier auf Kreta zu heißt. Ich bleibe lieber im Schatten."
"Und rauchst!"
"Ja das Gift hat mich im Griff."
"Da ist keine Aussicht auf Erlösung?"
"Keine Aussicht, der Tabak und Ich, wir sind auf besondere Weise verbunden."
Zur Bestätigung winkt er mein Feuerzeug mit einer nächsten Zigarette heran, füllt sich mit Rauch, unterdrück nur mit Mühe ein Husten, das sich zügellos Bahn brechen möchte, und lässt das flüchtige Gift mit offenem Mund entweichen und präsentiert einen lückenlosen Zahnstand. Auch das Gebiss spiegelt den Widerspruch zwischen Verwitterung und Vitalität, der der ganz Person anhaftet. Unter der braunen Teerlackierung sind die Zähne makellos. Doch das geräucherte Zahnfleisch hat sich soweit zurückgezogen, dass die Zahnhälse freiliegen.
"Prometheus Sohn des Titanen Iapetos und der Klymene."
Mein Gegenüber schaut auf die Weite des Meeres, als stände am Horizont der Text für seinen Monolog geschrieben.
"Prometheus, unter uns, eigentlich war der gute Mann in seiner Jugend ein renitenter Wirrkopf, der sich schlecht unterordnen konnte, ein Anarchist und begnadeter Stratege. Die Menschen ins Spiel zu bringen, war auf lange Sicht der entscheidende Zug, dafür hat er einiges riskiert und viel einstecken müssen. Doch schau dich um: Siehst du hier noch irgendwo einen intakten Tempel, in denen Priester den Olympiern Opfergaben da bringen?
Nein!
Auch Zeus hat nicht die Oberhand behalten, der ist auch nur noch Geschichte. Aber eine Geschichte, die nie zu Ende erzählt wurde.
Dass Prometheus nachtragend war, bleibt unerwähnt.
Kannst du dir vorstellen, wie er sich gefühlt hat, als ihm Themis verriet, das die Menschen eines schönen Tages auf das Feuer verzichten können? Und auf die Frau ist Verlass, die kennt die Zukunft: elektrisches Licht, Zentralheizung, Piezozündung. Wenn du kein Romantiker bist, kannst du heute gut bis zum Ende durchs Leben gehen, ohne einmal Feuer gemacht zu haben. Dann bin ich auch bald vergessen, hat sich der gute Mann gedacht, wollte sich aber mit diesem Undank nicht abfinden, nicht nach all dem, was er durchgemacht hat.
Zufällig ahnte Prometheus, welche Überraschungen noch in der Büchse der Pandora unter Verschluss gehalten wurden. Das war das eine, an das edle Gefäß zu kommen war das andere. Lange behalten musste er sie ja nicht, nur für den einen Augenblick. Einmal auf und einmal zu und dann war es vollbracht:
Der Tabak war auf der Welt, neben Leid, Krankheit, Tod und Mühsal eine weitere Geißel der Menschheit aus dieser verfluchten Büchse.
Doch die Pflanze war nicht allein als Strafe gedacht, wer diesem Kraut verfällt, wird ein Sklave des Feuers, ausgenommen jene Minderheiten, die das Zeug kaut oder schnupft.
Verlässt ein Raucher sein Zuhause, ist Feuer sein zweiter Gedanke, erst vergewissert er sich, ob er die Zigaretten dabei hat und dann, ob er sie auch anzünden kann. Hat er sein Feuer vergessen, wird er nicht eher ruhen bis irgendwo ein Flämmchen für ihn brennt. Streichhölzer, Einwegfeuerzeug wären ohne Raucher kein Geschäft. Hunderte von Millionen Sklaven des Feuers, was könnte sich Prometheus mehr wünschen?"
"Ja was könnte er sich mehr wünschen. Das ist ja Mal eine tolle Geschichte!
"Ja aber leider eine, die noch immer nicht zu Ende erzählt ist. Wir sind in Griechenland der Wiege der Tragödie. Es ist die Hybris, die uns zu Fall bringt.
Nun war die Pflanze auf der Welt, und Prometheus fragte sich welch böser Zauber aus Verführung und Gift in den getrockneten Blättern schlummert. Er war ein Titan, was konnte ihm das Kraut da schon groß anhaben. Und so gönnte er sich ein Pfeifchen und ein Nächstes und auch dabei blieb es nicht. Prometheus wurde zum ersten Raucher und tappte in seine eigene Falle.
Seit Jahrhunderten steckt er sich eine nach der anderen an. Jeder Atemzug wird zu Qual, die Zunge ist taub, der Hals brennt und die Brust ist mit Teer gefüllt. Alle fünf Minuten streicht er zwanghaft neues Salz auf die Wunden und wünschst sich nichts sehnlicher, als nur einmal tief und frisch Atmen zu können. Dagegen war die Zeit im Kaukasus, als der Adler täglich auf ein Stück frische Leber zu Besuch kam eine Wohl...."
Bevor er weitersprechen kann, klopft ein großer Husten bei ihm an, nimmt dem Helden die Luft, schüttelt ihn und bisschen was schafft aus der verschleimten Inneren bis in den Hals und dann ins Taschetuch. Gelegenheit zum Horizont zu schauen. Der Himmel färbt sich Rot, die Nacht kündigt sich an.
"Sorry aber ich muss los, sonst schaffe es nicht mehr vor der Dunkelheit!"
Wir stehen beide auf.
"Du hast recht. Bleib nicht zu lange stehen. Lauf weiter mein Freund."
Sagt er und legt die Hand auf meiner Schulter.
"Feuer war der Anfang und Feuer wird das Ende sein. Wenn mir Themis das nächste Mal über den Weg läuft, werde ich sagen das ich einen Seher getroffen habe. Aber bevor du gehst, hast du sicher noch mal kurz Feuer für mich."         zurück



Rolf Puschnig 2009

Leseprobe dem noch unfertigen Romanentwurf:
"Der Tag als ich meinem rauchendem Ich davon lief und die Jahre danach."