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Sommer 1984

Im Juli fuhren wir zu viert in den Urlaub. Ich hatte mir als Handlager auf dem Bau, neben dem Arbeitslosengeld, ein kleines Zubrot verdient und so hielt ich im Sommer meinen Autoführerschein in Händen und die 1500 Mark für einen gebrauchten Renault 4 zahlte ich in bar.

Die spanische Atlantikküste war unser Ziel. Die Fahrt dauerte 4 Tage. Der kleine überladene Wagen trug uns tapfer Richtung Süden. Da die Autobahnen in Frankreich Geld kosteten, waren sie tabu. Wir übernachteten auf Wiesen und Weiden. Wenn es Abend wurde, bogen wir einfach in den nächsten Feldweg ein. Es fand sich immer ein ruhiger, idyllischer Schlafplatz unter Frankreichs großen Nachthimmel. Ich war Anfänger und hatte als Einziger eine gültige Fahrerlaubnis.
Am ersten Tag zitterten mir nach 500km Knie und Hände, als ich erschöpft das Lenkrad losließ.
Am zweiten Tag lernte ich, bei einer ungewollten Stadtrundfahrt durch Paris in einem Straßenverkehr ohne erkennbare Regeln zu überleben.
Am dritten Tag machten wir der Erfahrung, dass es in Frankreich weiße Flecken auf der Landkarte gab. Wie zum Hohn tauchen dann auf nirgends verzeichneten schmale Straßen in der Einöde, steinerne Wegweiser nach Paris auf. Sie zeigen querfeldein und geben dir die Kilometer an, die dich aus der Provinz heraus ins Zentrum führten. Wir wollten nach Spanien.
Am vierten Tag stimmte die Richtung, wir trafen auf die Atlantikküste und überquerten die Grenze, nur um uns wenig später in San Sebastian fest zu fahren. Stunden lang standen wir im Stau, neben einer offenen Kloake, die bei 30° im Schatten zum Himmel stank und so blieb schließlich kein anderer Ausweg als die Autobahn. Noch in derselben Nacht wollte es sich das Land mit uns verderben. Ich fuhr eine Tankstelle an. Bevor der Tankwart den Zapfhahn ansetzte, schüttete er in Taschenspielermanier, eine kleine Flasche unbekannten Inhaltes in den Tank.
„Additiv gut für deutsch Auto“
Auf dem Weg zur Kasse fragte ich mich, wo der Fachmann, ein made in Germany auf meinem rostigen Renault gesehen haben wollte? An der Rechnung erkannte ich dann, an welcher Stelle das Additiv wirkte.
Gleich bei der Ankunft betrogen zu werden empörte uns. Wir beschlossen, morgen früh fahren wir zurück über die Grenze und den Rest des Urlaubs verbringen wir in Frankreich, einem zivilisierten Land, in dem es keine Straßenräuber gibt.
Im Dunkeln erreichten wir die Küstenstraße und mieteten uns ins nächste Hotel ein. Wir hatte alle ein paar Stunden Schlaf in warmen, weichen Betten nötig und dann im Tageslicht, beim ersten ausgeschlafener Blicke auf die wilde, grüne Felsenküste wussten wir, dass wir angekommen waren und bleiben würden.
. Nur das Mistrauen saß wie ein Stachel. Wechselgeld zählte wir bis auf den letzten Pesos nach und fühlten den Spruch "Das kommt mir jetzt aber Spanisch vor" mit Leben.
Was brauchst du ein Dach über dem Kopf, wenn es nicht regnet?
Und die Aussicht aus einem Fenster aufs Meer zu schauen empfanden wir als verbaut und so schlugen wir unser Lager auf einer Felsenzunge an der Küste auf.
Fragt mich nicht wo. Damals glaubte ich an das gute Gedächtnis. Ich hatte zwar ein Notizbuch dabei aber Ortsnamen aufzuschreiben war mir zu profan.
Wir waren im Baskenland und ich vermute unser Lager befand sich auf dem halben Weg zwischen San Sebastian und Bilbao. Woran ich mich erinnere:
Die Zigaretten waren billig und ich war noch nicht Raucher genug für Gitan Mais. Konnte mir diese Nikotinbomben nur im Sitzen anzünden und auch Paul rauchte seine Schachtel nicht auf. Von da an bevorzugten wir Lucky Strikes. Was für Humphrey Bogart gut war, war auch gut für uns.
Die ersten Tage war das Wetter gemäßigt, dann zog Regen auf und wir zogen wieder ins Hotel. Ein kleiner Familienbetrieb. Das Doppelzimmer kostete 30 Mark, und wenn du beim Essen Wein bestellt hattest, wurde dir für 2 Mark eine ganze Flasche gereicht.
Der Luxus hielt uns aber nicht. Kaum war es trocken, zogen wir wieder ins Sommerlager und Sommer wurde es. Besonders Paul litt unter der sengenden Sonne. Unser Felsennest bot kaum Schatten. Paul kaufte sich in einem nahen Dorf eine Baskenmütze, aber die Krempe viel nicht so breit aus wie gewünscht, nicht wie bei den alten Männern, die wir im Park auf den Bänken sitzen sahen. Vom Verkäufer lernten wir, dass die Breite der Krempe die Stellung des Trägers in der baskischen Gesellschaft signalisiert und Paul war Tourist und bekam nicht mehr als ihm zustand. Ein schmaler Ring dunklen Stoffs, der ihm wenig Schutz vor der spanischen Sonne bot und so hatten wir ein Einsehen und zogen wieder ins Hotel.
Wir Männer spielten Abend für Abend Luftkissenhockey. Man steht sich einem Tisch gegenüber, für ein paar Pesos dröhnte das Gebläse und mit einem Schläger geformt wie großen Stempel, versuchten du den Puck ins gegnerische Tor zu katapultieren, ein hochgeschwindigkeits Spiel. Susanne erwarb ein Wörterbuch Französisch/Spanisch, lernte die Landesprache und fungierte als Übersetzerin. In der Hitze schmolz Angelikas Vorrat an Verhütungszäpfchen und wurde unbrauchbar. In der Nähe des Hotels gab es eine idyllische Bucht mit Strand. Und wir badeten nackt, weil man an abgelegenen Stränden in den Achtzigern immer nackt badete.
Unterschwellige Zwistigkeiten verdarben Angelika die Laune.
Waren es die Nachwehen der Eifersucht?
Ich kann es nur vermuten. Tagsüber lass ich Albert Camus "Der Fremde" und war bis zu seiner Hinrichtung, Gast in Meursault Taucherglocke. Auch wenn ich das Buch aus den Händen legte, blieb ich unbeteiligt und besah mir die Welt wie durch Panzerglasscheiben.
In der vierten Woche wurde uns das Geld knapp. Laut Angelika hätte unsere Barschaft für die Rückfahrt gereicht. Sie verwaltete die Reisekostenkasse. Doch Paul kaufte von seinen Letzten fünf Mark, noch vor der Grenze in Wasserbillig Tabak, Blättchen, Cola und Chips. Angelika übte sich zwar im offenen Widerspruch.
"Wir müssen noch tanken!"
Aber Paul ließ sich nicht abhalten:
"Wird schon reichen."
An der Grenze stand die Tanknadel im letzten Viertel auf der Höhe Krefeld legte sie sich zur ruh und sah im Rückspiel Angelika mit dem Kopf schütteln. Vor Duisburg begann der Motor zu stottern. Ich rettete uns mit dem letzten Schwung die Abfahrt herunter auf einen Pendlerparkplatz. Es regnete. Wir hatten eine ergiebige schlecht Wetterfront aus Belgien mitgebracht.
"Und was jetzt?"
"Erst einmal eine Rauchen und die Sinnflut abwarten"
Wir saßen in unserem trockenen Gehäuse und waren versorgt mit Chips, Cola und Tabak, während es sich draußen einregnete. Aus der Wüste entkommen war dieser ergiebige Landregen aus einer kompakten Wolkendecke ein Ereignis. Susanne, Paul und ich, hätten dem Prasseln auf dem Autodach noch eine Weile zugehören können. Doch die Luft im Wagen wurde dicker. Angelika war es leid und ich erlebte einen von zwei lauten Ausbrüchen in unserer mehrjährigen Beziehung.
"Mir geht diese Lethargie, diese ewige Raucherei, so etwas von auf die Nerven. Ich zieh jetzt los und besorg uns Sprit und danach könnt ihr mich Mal."
"Darf dich erinnern, dass wir da ein kleines Problem haben. Wir haben kein Geld, Vergessen?"
"Lass das Mal meine Sorge sein. Wo ist unser Reservekanister?"
"Warte."
Während ich den fünf Liter Kanister unter unserem Gepäck ausgrub, zog sich Angelika eine dünnhäutige Regenpelerine über, die zusammengefaltet in die Hosentasche passte. Wieder im trockenen Wagen sah ich durch ein Guckloch in der beschlagenen Scheibe, wie sie hinter Regenvorhängen verschwand. Eine knappe Stunde Später stand der Motor wieder unter Dampf. Die Frage wie Angelika an das Benzin kam, ließ sie unbeantwortet. Sie war verkühlt, verschnupft und schwieg. Ihr fehlte ein Ohrring.

Zuhause angekommen zog Angelika die fünf Mark von den Freundschaften ab. Es blieb nicht mehr übrig, als ein flüchtiges Hallo, wenn ihr Paul oder Susanne zufällig über den Weg lief.    zurück



Rolf Puschnig 2008

Leseprobe aus dem noch unfertigen Romanentwurf:
"Der Tag als ich meinem rauchendem Ich davon lief und die Jahre danach."